Mid3Sitzung012

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Midgard 3

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Datum: 19.12.2011
Dauer: 4h
Spielleiter: Björn
Spieler: Nina: Aasa (Se Gr9), Harry: Beowulf (GHx Gr9), Hajo: Tam-Ceren (Hl Gr4)
Szenario: Das Land das nicht sein darf (Alexander Huiskes)
Beginn (Spielwelt): 06.02.2415, 12:00
Ende (Spielwelt): 07.02.2415, 03:30



Realwelt

Hajo schreibt wieder live am Notebook mit.

Nicky ist leider verhindert.

Spielwelt

6. Tag im Luchsmond (Fortsetzung)

"Geht es endlich mal weiter? Ihr seid dem Ziel doch schon so nahe..." Die nervige Stimme des Sehenden Schlüssels meldete sich zurück, wie immer nur in den Köpfen von Tam und Claves. Gerade hatten die Gefährten eine Denkpause eingelegt, der eine lebhafte Diskussion vorangegangen war, was nun zu tun sei. Insbesondere Varos, der Anführer der Zwerge, hatte sich dafür stark gemacht, den Sehenden Schlüssel nun auch wirklich einzusetzen. "Wenigstens einen Blick auf die Barriere könnt ihr doch werfen", so redete er ihnen zu - und dem konnte so recht niemand widersprechen.
"Folgt mir!" Varos führte die Gruppe durch ein Portal in der gegenüberliegenden Wand des Raumes in einen breiten Gang hinein, doch schon nach wenigen Biegungen und keiner halben Minute blieb er an einer breiten, leuchtend roten Linie stehen, die sich über Boden, Wände und Decke des Ganges erstreckte. Die Linie war übersät von Runen.
"Olmnata", las Beowulf vor. "Immer nur dieses eine Wort. Unzählige Male wiederholt."
"Schwer zu übersetzen", erklärte Varos, "so eine Art Tabu. Wenn Zwerge die Linie versuchen zu überqueren, schlagen plötzlich Flammen aus ihr hervor. Auch ihr solltet vorsichtig sein."
Beowulf näherte sich vorsichtig der Linie und überquerte sie dann rasch mit einem großen Schritt... Nichts passierte!
Tam versuchte das gleiche - wieder ohne negative Folgen.
Aasa folgte voller Zuversicht, aber in dem Moment, in dem sie die Linie betrat, verwandelte sich der gesamte durch die Linie abgedeckte Bereich in eine Flammenwand. Erschrocken sprang Aasa nach vorne aus dem Bereich hinaus. Nicht gerade elegant, aber dennoch hatte sie nur leichte Verbrennungen erlitten.
"Ich weiß ja nicht, was Beowulf geholfen hat, aber mich hat vielleicht der Sehende Schlüssel beschützt. Claves, fang!" sprach Tam und warf Claves den Sehenden Schlüssel zu. Der jaulte kurz auf, als er die Flammen durchquerte, trug aber keinerlei sichtbaren Schaden davon.
Tam kümmerte sich um Aasas Brandwunden, während Claves darauf wartete, daß die Flammen erloschen. Nach etwa zehn Minuten war es dann tatsächlich so weit, und Claves wagte sich samt Sehenden Schlüssels über die Linie... und wieder schlugen die heißen Flammen hervor. Der Sehende Schlüssel schrie mental auf, und Claves hechtete nach vorne - leider nicht wesentlich eleganter als Aasa zuvor, aber mit weniger Glück, was die Brandwunden anging. So hatte Tam noch einen weiteren Patienten zu versorgen.
Die Zwerge guckten besorgt, aber nach weiteren zehn Minuten schienen die Gefährten wieder halbwegs auf den Beinen und Varos sprach zu ihnen: "Wir werden hier warten. Ihr müßt diesem Gang etwa eine halbe Stunde folgen, dann kommt ihr an die Barriere und an die Vertiefung, in die euer Schlüssel hineinpassen wird. Viel Glück!"

Die Gefährten liefen den Gang entlang und kamen in der Tat nach der angegebenen Zeit an eine T-förmige Verzweigung. Nach links und rechts ging der Gang mit einer leichten Biegung weiter, als wenn er einen vielleicht fünfzig Meter durchmessenden Kreis bildete. Die Innenwand dieses Kreisganges bestand aus Eis, das trotz der immer noch recht hohen Temperaturen nicht schmolz, sodern eine angenehme Kälte ausstrahlte.
"Und hier", sagte Beowulf, auf eine fünfzackige Einbuchtung in Kopfhöhe deutend, "befindet sich dann auch das 'Schlüsselloch'. Sollen wir also wirklich unser Schicksal herausfordern und den Sehenden Schlüssel da hineinstecken?"
"Ja, ja, sollt ihr!" hallte die mentale Stimme des Schlüssels in Tam und Claves wieder. "Bedenkt nur, nach all den Mühen. Ihr seid dem Ziel all eures Strebens so nah."
"Was passiert mit dem, was du uns geraubt hast?" fragte Tam. "Wirst du mir meine Ausdauer und Claves seine Jugend zurückgeben?"
"Aber sicher, sobald wir durch die Barriere durch sind."
Tam blickte in die Runde, und dann schob er mit einem gewissen Widerwillen den Schlüssel in die Öffnung.

Zuerst passierte gar nichts, aber nach einigen Minuten fing das Eis an zu schmelzen, um schließlich gänzlich zu verschwinden. Ein zwei Meter dicker Eispanzer hatte sich in Nichts aufgelöst. Und nun erkannten die Gefährten, wo sie eigentlich waren: Tief unten am Fundament eines hohen Turmes, der bis eben noch komplett von diesem Eispanzer umgeben gewesen war und jetzt eine Außenwand aus grünem Stein aufwies. Durch die entstandene Lücke konnten sie den Himmel sehen.
Tam hob den Sehenden Schlüssel auf, der jetzt eine Zacke weniger hatte. "Ich fühle mich noch keinen Deut gestärkt. Aber offensichtlich ist unser Werk auch noch nicht vollbracht. Hier in der Steinwand gibt es wieder eine Öffnung, diesmal mit nur vier Zacken."
Tam steckte den Schlüssel auch in diese Öffnung, und das Schauspiel wiederholte sich. Wieder verlor der Turm zwei Meter seiner Außenhülle. Die Steinwand verschwand, und dahinter zeigte sich eine Wand aus glühender Lava, die wundersamerweise an Ort und Stelle gahalten wurde und nicht die Turmwand herabfloß. Der Sehende Schlüssel hatte wieder eine Zacke verloren, und die Lavawand wies einladend eine genau passende Öffnung mit nunmehr nur noch drei Zacken auf.
So wiederholte sich das Spiel noch dreimal. Hinter der Lavawand kam eine Wasserwand zum Vorschein, die den Eindruck eines aufwärts fließenden Wasserfalls erweckte. Als letztes galt es eine undurchdringliche Dornenhecke aufzulösen. "Die Elemente", entfuhr es Beowulf, "sogar dieses seltsame kanthaipanische Holzelement..."

Als das Werk vollbracht war, war der Sehende Schlüssel auf das zentrale Auge reduziert. Tam fühlte sich gestärkt, und Claves wirkte plötzlich um Jahre jünger. Zur Erleichterung der beiden war auch die Stimme des Schlüssels nicht mehr zu hören. Der nun sehr schlanke und dadurch noch höher wirkende Turm bestand aus dunkelgrünem Gestein, das mit Sternensilberadern durchzogen war. Vor den Gefährten gähnte eine Türöffnung.

"Wir müssen das Auge zerstören", meldete sich Beowulf zu Wort. "Es muß etwas anderem gehören, etwas sehr Lebendigem und sehr Gefährlichem." Aasa widersprach, aber nach einigem Hin und Her wurde sie von den anderen überstimmt. Tam versuchte sich zuerst, aber mit seinem Dolch konnte er dem Auge nichts anhaben. Beowulf schwang sein ebenso gewaltiges wie magisches Schlachtbeil, und nach drei mächtigen Schlägen und eindrucksvollem Funkenschlag zersprang das Auge in tausend Splitter.

Nun konnten die Gefährten sich endlich der Türöffnung widmen. Hinter ihr befand sich ein gewaltiger Raum, der die gesamte Fläche des Turmes einnahm und dessen Decke so hoch war, daß man sie nicht erkennen konnte. Bis auf eine schier endlose Wendeltreppe in der Mitte des Raumes herrschte gähnende Leere. Aasa nahm Ari auf die Schulter und führte die Gruppe beim Ersteigen der Treppe an.

Über tausend Stufen und einige Pausen später kamen sie oben an, wiederum in einem Raum, der die gesamte, jetzt aber kleinere Fläche des Turmes einnahm und der völlig schmucklos erschien. Einziger Einrichtungsgegenstand war ein hochlehniger Stuhl, auf dem eine verhüllte hochgewachsene Gestalt saß. Ihre langfingrigen wachsbleichen Hände hielten ein rostiges Schwert - es gab keinen Zweifel, dies mußte die Norne sein.

Aasa und Beowulf traten an die Gestalt heran, Claves und Tam blieben auf Sicherheitsabstand. Elfische Runen waren auf dem Schwert zu erkennen. Beowulf durchfuhr ein kurzer Schauder, aber dann sammelte er sich schnell wieder und las vor, was dort stand: "Lanndalléndané... Es kommt mir wieder sehr archaisch vor. Dieser Name muß so etwas ähnliches wie 'Klinge des blinden Schicksals' bedeuten."
Noch während Beowulf über den Namen nachsann, erschien plötzlich die durchscheinende Gestalt einer über alle Maßen grazilen Elfe, mit goldenen Haaren und goldenen Augen, die mit glockenheller Stimme verkündete: "Hier ruht Lanndalléndané, erschaffen aus dem Sternensilber der Sternenschönheit in einer Zeit der Einigkeit, nach der Spaltung dazu bestimmt zu bannen Finsternis und zu stärken Licht, nachdem der Bruderzwist entschieden war nach dem Verschwinden des Geistes der Freiheit, Dunkelheit und Leere zu bannen und Licht und Weisheit zu stärken, das Schwert der Sterne, die Klinge, die die Freiheit fesselt in den Banden der Tugend und den Verstand kleidet in die Nebel der Bescheidenheit. Auf daß ihr Zauber immer lodere." Sprach's, und verschwand.
"Warum spricht diese Elfe nun auf einmal Waelska?" wunderte sich Beowulf. Aasa nickte bestätigend.
"Nein", widersprach Claves, "sie hat reinstes Neu-Vallinga gesprochen."
"Für mich", antwortete Tam, "hat es sich wie Läinisch angehört. Diese Erscheinung hat in unseren Köpfen gesprochen, ganz wie der Sehende Schlüssel, und sich dabei unserer jeweiligen Muttersprache bedient."

Unterdessen hatten sich Beowulf und Aasa die verhüllte Gestalt näher angeschaut. "Alles ist verschleiert", so Aasa, "nur die Augenpartie ist sichtbar. Irgendwie sehr alt und mumifiziert... Vielleicht sollte ich die Kapuze wegziehen."
Nach kurzer Diskussion beschlossen die Gefährten, das Schwert unangetastet zu lassen, aber sich in der Tat an der Kapuze zu versuchen. Tam wagte es, aber mußte feststellen, daß sich absolut nichts an der Gestalt verändern ließ. Alles erschien wie aus Stein.
"Sowas hatten wir doch schon mal", sagte Beowulf, "diese Gestalt ist wahrscheinlich aus der Zeit herausgenommen. Daher kann nichts an ihr verändert werden. Wir kommen hier nicht weiter. Ich werde mit diesem Seemeister Kontakt aufnehmen." Beowulf konzentrierte sich auf das alles umgebende Emypreum, wie es ihm Lugalbanus gezeigt hatte. Er spürte, wie seine Gedanken das Empyreum zum Schwingen brachten, und wie die Schwingungen sich ausbreiteten, auf der Suche nach dem Bewußtseins Lugalbanus', irgendwo da draußen. Es verging keine Minute, da konnte er fremde Schwingungen wahrnehmen - Schwingungen, die Lugalbanus von weit her aus der Ferne ausgelöst haben mußte. Es entspann sich eine mentales Gespräch:
"Lugalbanus, wir haben Kuz Alhadur gefunden und konnten den Sehenden Schlüssel zum Einsatz bringen."
"Gratulation, Freunde. Ich wußte, daß auf euch Verlaß sein würde. Sicherlich habt ihr bereits die Antworten auf all eure Fragen finden können."
"Im Gegenteil. Wir sitzen vor der reglosen Gestalt der Norne Hakhaba, und wir haben keine Ahnung, was wir jetzt tun sollen."
"Eine Norne? Ich bin verwundert, um nicht zu sagen verwirrt."
"Wir könnten versuchen, die Norne zu erwecken, aber das würde wohl ein ziemliches Problem in die Welt setzen."
"Da mögt ihr recht haben. Wenn es sich bei dieser Norne wirklich um das Wesen handelt, von dem ich aus uralten Sagen gehört habe, dann haben wir es mit einer sehr... öh... interessanten Persönlichkeit zu tun."
"Wäre es nicht an der Zeit, daß Ihr herkämet?"
"Ich würde ja gerne, aber mit meinen magischen Transportmöglichkeiten kann ich euch zur Zeit nicht erreichen. Ihr seid irgendwie abgeschnitten vom magischen Geflecht... Ich denke, ihr solltet vorerst nach eigenem Wissen und Gewissen entscheiden. Ich werde mich melden, sobald ich etwas herausfinde oder eine Möglichkeit gefunden habe, zu euch zu kommen."
Das Empyreum kam wieder zur Ruhe.

"Nun ja, nicht gerade ergiebig." Beowulf zeigte sich enttäuscht. "Vielleicht sollten Tam und ich nochmal zum großen Buch und nochmal versuchen, etwas herauszufinden, was uns weiterbringt."
"Einverstanden", sagte Aasa, "Claves und ich halten unterdessen hier die Stellung. Vielleicht passiert ja noch was mit dieser zeitlosen Dame da oben."

Beowulf und Tam machten sich an den langen Abstieg. Unten angekommen drehten sie noch eine Runde um das Turmfundament. Es gab dort noch zwei weitere Olmnata-Linien, die jetzt, wo der Turm seine meterdicken Hüllen abgestreift hatte, leicht zu umgehen waren. Dem Gang zur Bibliothek genau gegenüber liegend fanden sie einen weiteren langen Gang, dessen Erkundung sie allerdings auf später vertagten.

Zügig marschierten die beiden durch den langen Gang zurück in die Arrachtbibliothek, wo sie von den Zwergen gespannt erwartet wurden. Forn und Varos bestürmten sie mit Fragen, aber es gab Dringenderes zu erledigen. Sie traten an das Buch, und Beowulf konzentrierte seine Gedanken auf das Schwert Lanndalléndané. Der Foliant begann gerade zu blättern, als sowohl Beowulf wie auch Tam eine leichte Berührung am Rücken spürten. Dann kam es über sie, das untrügliche Gefühl, daß der eigene Körper einem Fluß magischer Energie widerstanden hatte. Forn stand hinter Beowulf, Varos hinter Tam, und beide hatten sie versucht, den vor ihnen stehenden Menschen zu verzaubern. "Was geht hier vor?" entfuhr es Beowulf, und zornig schlug er nach Forn. Tam versuchte das gleiche mit Varos. Doch während Beowulfs Lederrüstung ihn am vollen Einsatz seiner waffenlosen Kampftechniken hinderte, scheiterte Tams Versuch, Varos mit einem Kinnhaken ins Reich der Träume zu schicken, an dessen ausgefeilter Chitinrüstung. So konnten sich beide Zwerge ungeschoren zurückziehen, während alle acht Zwergenkrieger wie auf Kommando ihre Kriegshämmer zückten und ihre Schilde in Position brachten. Je vier stürzten sich auf die beiden Gefährten. Beowulf zog sein Schlachtbeil und stürmte ihnen entgegen, während Tam einen Schritt zurücktrat und nach seinem Lotosblütenstaub griff. Er schleuderte das Pulver den Zwergen entgegen und spürte, wie es sich in magische Energie auflöste, die nach der Anima der Zwerge griff. Einer der Zwerge sank zu Boden, seelig entschlummert, doch die drei anderen stürmten unvermindert auf Tam zu. Jetzt griff Tam in eine andere Tasche seiner Kutte, holte Eschenrinde hervor, die sich wiederum in magische Energie auflöste. Den Zwergen fuhr der Schreck in die Glieder, aber sie griffen dennoch unvermindert an. Zwei Kriegshämmer trafen Tam, der mit schmerzverzerrtem Gesicht zurücktaumelte. Beowulf hatte unterdessen zu einem gewaltigen Rundumschlag ausgeholt, doch bevor er diesen vollenden konnte, bohrten sich die Spitzen zweier Kriegshämmer von hinten und von der Seite durch seinen Lederharnisch tief ins Fleisch. Beim Versuch, eben dies zu verhindern, stolperte er so ungünstig und prallte dabei mit dem hinter ihm stehenden Zwerg zusammen, daß der angedachte Rundumschlag scheiterte, bevor er richtig begonnen hatte. Stattdessen rief er in höchster Verzweiflung Asvargr um Hilfe an.

In diesem Moment hörten alle ein schlurfendes Geräusch aus dem Gang zur Zwergenstadt. Thror Gabelbart betrat mit leicht verwirrten Blick den Raum. Innerhalb von Bruchteilen von Sekunden faßte er sich. Ähnlich wie Tam zuvor warf er eine Handvoll Staub in den Raum, woraufhin alle übrigen Zwergenkrieger schlafend zusammensanken. Mit einer unglaublichen Wut blickte er Varos und Forn an: "Ihr seid doch alle den Versuchern erlegen!" Bevor die beiden Beschuldigten recht verstanden, was eigentlich vorging, stieß Thror ein einziges mächtiges Zwergenwort aus, das selbst Beowulf nicht so recht verstand und Varos und Forn erbleichen ließ. "Flieht, ihr Narren!" Diese wohlbekannten Worte rief er Tam und Beowulf zu. "Das sind alles Schattenzwerge."

Tam und Beowulf hinkten also stark angeschlagen durch den Gang Richtung Turm. Fast schon dort angekommen, trafen sie auf Aasa und Claves. "Claves hatte auf einmal das Gefühl, daß irgendwas nicht stimme. Daher sind wir euch entgegengekommen", erklärte Aasa. Schnell organisierte sie am Ende des Ganges die Verteidigungsstellung gegen die nahenden Schattenzwerge. Doch der erste, der mit wehendem Bart den Gang entlangkam, war Thror, sichtlich erschöpft, aber dennoch schnell wie ein Wirbelwind. "Seid ihr des Wahnsinns? Gegen zehn Schattenzwerge können wir nicht lange bestehen. Und sie könnten noch Verstärkung holen. Flieht, durchs Tor..."
Die Gefährten folgten also Thror in den Gang auf der anderen Seite des Turmes. Beowulf war von seinen Verletzungen so geschwächt, daß er nicht mehr sehr schnell laufen konnte, doch war er immerhin noch in der Lage, mit einigen Gesten und gemurmelten Formeln magische Energie in seine Glieder zu leiten, die ihm ermöglichten, mit den anderen mitzuhalten.

Nach knapp zehn Minuten hastigen Dauerlaufs kam die Gruppe in eine riesige Halle, sicherlich hundert Meter breit und sechzig Meter tief, deren Boden aus schwarzen Steinplatten bestand, die ab und an von weißen oder gelben Platten durchsetzt waren. An der dem Eingang genüberliegenden Wand befand sich ein großes Portal, dessen Torbogen in vollendeter Steinmetzkunst mit allerlei Flora und Fauna verziert war. Sogar Elfen, Zwerge und Gnome konnte man erkennen, allerdings keine Menschen. Das Tor selbst war mit einer glatten grauen Masse versperrt. Links und rechts des Portals standen insgesamt zehn große Steinstatuen Spalier. Tam spürte etwas, was er seit seiner Ankunft im Iweltal nicht mehr gespürt hatte: Lebenkraft. Irgendwie war sie hier wieder präsent, während das Tal und mit ihm die ganze Zwergenstadt wie tot gewirkt hatte.
"Die Bäume", entfuhr es Aasa, "das sind genau solche Bäume wie der, unter dem wir geschlafen haben. Hier muß doch jetzt endlich Platz für dieses Blatt sein..." Sie holte das steinerne Blatt des Moraviseda aus dem Rucksack und untersuchte fieberhaft den Torbogen. Und in der Tat, sie fand einen Baum mit einer Aussparung, in die das Blatt genau hineinpaßte. Sie setzte es ein, woraufhin der ganze Bogen anfing zu glühen und die graue Masse sich langsam zu einer blauen durchscheinenden Membran wandelte, hinter der so etwas wie ein Wald zu erkennen war.

Im gleichen Moment passierten noch mehrere andere Dinge: Zum einen fingen die riesigen Steinstatuen an, sich zu bewegen, und zum anderen hörten die Gefährten, wie die Schritte ihrer Verfolger sich rasch durch den Gang näherten.
"Geht ihr durch das Tor", schrie Thror, "die Götter haben mir gesagt, daß dies eure Bestimmung ist. Mein Platz hingegen ist hier."
Die Gefährten drückten sich gegen die Membran, die sie mit einem schmatzenden Geräusch hindurchließ. Auf der anderen Seite befand sich so etwas wie ein sehr üppiger Regenwald. Die Luft war schwer, feucht und warm, und überall wimmelte es nur so von Leben und Sinneseindrücken.
Beowulf drang als letzter durch die Membran, nicht ohne zuvor noch das Blatt wieder an sich zu nehmen.
Innerhalb einer Minute schloß sich das Tor wieder. Die Gefährten konnten gerade noch erkennen, wie die Schattenzwerge, viele von ihnen mit schweren Brandwunden, die Halle betraten und von den Statuen angegriffen wurden, während Thror magische Energieschilde um sich herum aufbaute.

Von der anderen Seite sah das Tor genauso aus, allerdings fehlte hier kein Blatt. Erschöpft sanken die Gefährten auf den weichen, dicht mit sattgrünem Gras und bunten Blumen bewachsenen Boden und ruhten sich aus.

7. Tag im Luchsmond

Es muß um Mitternacht gewesen sein, aber in dieser seltsamen Welt voller Lebenkraft sah man weder Sonne noch Sterne. Es herrschte ein diffuses warmes Licht, das von allen Seiten zu kommen schien. Tam wollte Ausschau nach Kreuzungen der Lebenskraftlinien halten. Also öffnete er seinen Geist und ließ seine eigene Lebensenergie mit der der Umgebung in Wechselwirkung treten. Fast riß ihn der überbordende Sinneseindruck von den Beinen. Eine Linienkreuzung sah er nicht, doch war das typische Leuchten der Kraftlinien überall um ihn herum zu spüren. Es gab nur einen Schluß: Sie befanden sich in einer Kraftlinie!

Die Situation erschien friedlich und sicher. So schlugen die Gefährten ein Lager auf und gönnten sich eine längere Ruhepause und einige Mützen Schlaf. Auch galt es die Verletzten zu versorgen. Tams magische Heilkräfte, aber auch Beowulfs Wundrune sorgten dafür, daß es bald allen viel besser ging.

Nach der Erholungspause brachen die Gefährten ihr Lager ab und zogen weiter - aber wohin bloß? In dieser Welt voll chaotischer Sinneseindrücke erschien es ein Ding der Unmöglichkeit, auch nur wenige hundert Meter geradeaus zu laufen. Selbst Ari machte einen reichlich verwirrten Eindruck.
"Vielleicht ist es an der Zeit, die Hunde des Moraviseda zu rufen", fiel Beowulf ein.
Gesagt, getan. Die Statuen der Hunde verwandelten sich in die leibhaftigen Hunde, nachdem ihre Namen geflüstert worden waren. Bald tollten Hoffnung, Liebe, Treue und Beherztheit um die Gefährten herum, und Ari freute sich über die Spielkameraden.

Die Hunde führten die Gruppe binnen einer Stunde zu einer steinernen Bank, genau so eine, wie sie sie schon zuvor in Moravod gesehen hatten. Die Bank glühte von innen her sanft blauweiß auf, und von irgendwoher war ein Gesang zu vernehmen:

Denke... denke... denk' daran...
Que, que, natora, du wirst noch seh'n.
Lausch' mit dem Herzen, dann wirst du versteh'n.
Laß den Weg dir weisen, von Wellen, die vergeh'n.
Lausch' mit dem Herzen, dann wirst du versteh'n.

Als Tam sich der Bank näherte, verwandelt sie sich in eine alte Frau mit laubbekränztem Haar und goldenen mandelförmigen Augen. Sie erblickte Tam, lächelte mütterlich und rief: "Du-Ihr!" Daraufhin verwandelte sie sich in einen Wirbelwind. Tam sprach nun wie in Trance mit der Stimme des Moraviseda: "Da bist Du-Ihr. Und ihr anderen, verzagt nicht, sondern preist das Schicksal, das uns zueinander geführt hat. Ich-wir bin der Geist des Wandels, und hier ist der Geist des Vergehens. Wird haben wieder zueinander gefunden dank euren Mutes."
Daraufhin formte sich das Zischen des Wirbelwinds zu Worten: "Bald ist es geschafft, und unsere Erinnerungen kehren zurück. Eilet, eilet, denn der Hauch des Lebens wird erwachen, noch ehe ihr die Ader des Lebens durchquert habt. Doch wir werden auf euch achtgeben, wie ich-wir es bereits einmal für andere tat."
Nach diesen Worten zischte der Wirbelwind auf Tam zu und verschwand in dessen Mund. Tam kam wieder zu sich und konnte sich an nichts davon erinnern.

Die Hunde wollten rasch weiter.